Über 700 Seemeilen im Kielwasser
Ich habe meine erste Wache angetreten. Wenn wir längere Strecken zurücklegen und deshalb über Nacht fahren, hat so jeder die Möglichkeit zu entspannen und zu schlafen. Boris kann sich jetzt drei Stunden ausruhen, bevor er seine Wache antritt. Und ich hoffe, es springt noch ein leckeres Abendessen in seiner Freiwache für mich raus. So werden wir uns in Zukunft bei Nachtfahrten oder Fahrten über mehrere Tage abwechseln. Es bedarf schon ein bisschen Gewöhnung, genau dann zu entspannen, wenn man Freiwache hat und kaum ist man eingeschlafen, sind die drei Stunden dann auch schon vorbei. Aber so ist das als alter Pirat! ;-)
Vor 5 Stunden haben wir in Lauterbach abgelegt. Nochmal sind Freunde und Familie an den Steg gekommen, um uns mit besten Wünschen im Gepäck in unser Abenteuer ziehen zu lassen. Einige Boote sind mit uns hinausgefahren und gaben uns Geleit. Vielleicht wollten sie auch nur sichergehen, dass wir nun auch wirklich starten ;-)
Jetzt sitze ich im Cockpit, die Wellen rauschen und zischen um uns herum. Die Abendsonne blinzelt mich an. Ich versuche meine Gedanken zu sortieren und einzuordnen, wie ich mich jetzt fühle. Ich bin noch hibbelig und während ich das schreibe, springe ich zwischendurch immer wieder auf, um zu schauen, dass der Autopilot noch tut, was er soll, und zu checken, ob Kurs und Wind passen und was so um uns herum los ist. Zu letzterem kann ich nur sagen - nix los auf der Ostsee. Außer unserem Buddy-Boot "Rena" mit Robert und ein paar Fähren am Horizont ist weit und breit niemand um uns herum.
Wir freuen uns sehr, mit den Crews der "Hornfisch2" und der "Rena" die ersten Wochen in Schweden zu verbringen. Es ist ein kleines Bisschen wie Klassenfahrt und Urlaub.
Mit Menschen Zeit zu verbringen, die unsere Begeisterung fürs Segeln, für die lautlosen und die geräuschvollen Momente teilen und so ticken wie wir, ist das größte Glück.
Seit diesen Sätzen ist inzwischen ein Monat vergangen und um die 700 Seemeilen liegen in unserem Kielwasser. Gemessen an der Anzahl der Erlebnisse fühlt es sich schon viel länger an und dann auch wieder nicht, weil die Zeit so schnell verging. Alles war bisher durch die Kanal-Fahrt von Ost- nach Westschweden getaktet. Doch zum Glück haben wir uns hier und da ein paar Tage abgeknappst, um abseits der Route durchzuatmen und die Schönheit und Einsamkeit der schwedischen Schären zu genießen und in uns aufzusaugen. Neben den relaxten Tagen gab es auch mal positive Aufregung und Anspannung in den großen Schleusen des Göta- und Trollhättan-Kanals. Gemeinsam haben wir das gemeistert und uns bei den letzten Schleusen wie entspannte Alleskönner gefühlt. Jetzt sind wir zumindest gut vorbereitet für die nächsten Schleusen im Neukaledonischen Kanal in Schottland.
Inzwischen mussten wir von Robert und Netti und ihrer Rena auf Læsø Abschied nehmen. Ein trauriger Moment. Für sie ist es Zeit, den Kurs wieder auf Rügen anzulegen und den Sommer im Heimatrevier zu genießen. Mit Alice und Nils von der Hornfisch2 segeln wir nach Hals an der Einfahrt zum Limfjord. Beim Motorcheck vor Abfahrt stellen wir fest, dass am Kühlwasseranschluss des Motorblocks zwei Gummimuffen gerissen sind. Und wie der Zufall es will, ist 50 m von unserem Liegeplatz in Hals eine Volvo Penta-Werkstatt, die uns die Teile bestellt. Auch Nils hat Glück. Auf dem Parkplatz treffen wir zufällig auf einen Segelmacher, der kurzfristig weiterhelfen kann. Unsere Weiterfahrt nach Aalborg verzögert sich also etwas und wir werden weiter entschleunigt. Die Ersatzteile kommen frühestens Dienstag und so machen wir morgen erstmal einen Busausflug nach Aalborg. Endlich Shopping im Marine-Store - irgendwas braucht man ja immer - und wir müssen in einen Elektromarkt, da unsere Drohne "irgendwie zufällig" auf einer der Schäreninsel abgestürzt ist und nur noch drei Arme hat.
Und wie fühlt es sich jetzt an, unterwegs zu sein? Im Moment noch wie Urlaub. Es braucht sicher noch etwas Zeit, bis ich mich völlig entspannt fühle, ausgeruht und wach bin. Über 30 Jahre im Job lassen sich nicht in vier Wochen wegurlauben, aber der Kurs stimmt. Und der führt uns als nächstes durch den Limfjord über die Nordsee nach Schottland. Das erste Mal mehrere Tage außerhalb der Ostsee und nur mit uns auf unserer Seeschwalbe. Ein aufregendes Kribbeln im Bauch macht sich so langsam breit. Wir schauen täglich in den Windvorhersagen, ob sich ein passendes Wetter- & Windfenster für die Nordseepassage ankündigt...
Viele neue Erfahrungen in Gemeinschaft haben uns inspiriert, große Freude gemacht und erfüllt. Danke für die gemeinsame Zeit Boris, Claudi, Netti und Robert. Alice und Nils